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Minute 35
Die verlorene Minute, die fehlende Einstellung oder der frische Eindruck


Stefanie Hoffmann

Der frische Eindruck (Ein Interview).

Interviewpartner 1 (männlich)

Was denkst du um was es in der Minute geht?

Die Natur scheint in diesem Film im Vordergrund zu stehen. Sie ist das dominierende  Element. Selbst der Mann im Boot wirkt im Verhältnis zum Fluss klein und nicht ganz so wichtig. Die ersten Einstellungen auf dem Fluss im Regen sollen vielleicht eine Zeit-Metapher darstellen. Die Kamera bewegt sich auf den Zuschauer zu von der Vergangenheit hin zum Jetzt.

Wie wirkt die Musik auf Dich? 

Die Anfangsmusik bewegt sich dramatisch auf den Schnitt zu. Die Musik spitzt sich bis zum Schnitt immer weiter zu. Danach wird die Musik harmonisch, fast vital und schläft gegen Ende fast wieder ein, die Spannung der Anfangsmusik wird dabei nicht aufgelöst.

Bitte schließe von der Minute auf den Film. An welcher Stelle des Filmes würdest Du diese Minute verorten, was ist davor passiert und was wird danach passieren?

Es geht wohl um die Beziehung zwischen Mann und Frau, anscheinend geht es nicht nur um einen Zeitpunkt, von dem erzählt wird, sondern die Erzählung umfasst einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar ein ganzes Leben. Die Minute ist vielleicht der Mittelpunkt in der Geschichte und stellt einen Bruch da. Davor ist wohl etwas Wichtiges passiert, dann haben die beiden geheiratet. Etwas Dramatisches muss passiert sein, das auf die Zukunft eine lange Auswirkung haben wird. Vielleicht war die Situation der beiden vor dieser Minute nicht so gut und jetzt soll alles besser werden. Vor der Minute war alles ungeordnet, und mit ihr setzt eine gewisse Ordnung nach dem Schnitt, nach dem Unwetter ein. Die Beziehung der beiden erscheint mir vor der Minute noch unklar und diffus zu sein und wird sich erst nach der Minute klären.

Interviewpartner 2 (weiblich)

Was denkst du um was es in der Minute geht?

Was Wasser wohl bedeutet? Es ist wohl ein Symbol für Leben und Bewegung. Es geht  anscheinend um die Veränderung und die Gefahren, die das Leben birgt. Der Regen zusammen mit der Musik hat etwas Bedrohliches. Erst sind die Bilder diffus und sogar unscharf. Nach dem Schnitt ist das Wasser klar und beruhigt. Eine Veränderung wird wohl dargestellt. Durch die Einblendung erfahre ich, dass vor dem Schnitt wohl einiges an Zeit vergangen ist. Der Mann auf dem Boot scheint Anatole zu sein, er hat Henriette geheiratet. Vielleicht ist er ja auf dem Weg zu ihr. Mich stört der Anschlussfehler: Der Mann rudert einmal in die falsche Richtung.

Bitte schließe von der Minute auf den Film. An welcher Stelle des Filmes würdest Du diese Minute verorten, was ist davor passiert und was wird danach passieren?

Vor der Musik ist wohl etwas Trauriges passiert. Komisch, denn der erste Eindruck war, dass er ist auf dem Weg ist, ihr einen Heiratsantrag zu machen, aber sie sind ja wohl schon verheiratet. Der Mann bewegt sich auf dem Fluss des Lebens - nach dem Schicksalsschlag in der Vergangenheit wird das Leben nun fröhlicher. Aber ganz traue ich der Fröhlichkeit noch nicht, es liegt immer noch ein Hauch von Bedrohung in der Luft.

Meine Gedanken

Interessant war, dass beide Interviewpartner, die keinerlei Vorkenntnisse zu dem Film besaßen, ähnliche Eindrücke zur Minute hatten. Die Minute trägt ohne Text und fast ohne Handlung soviel Information, dass diese auch nur für sich stehend einen Großteil der Handlung trägt.

Aufschlussreich ist, dass die Einstellungen auf dem Wasser nicht von Renoir selbst gemacht worden sind, sondern nachgedreht und für die Logik der Geschichte von der Bearbeiterin mit Zustimmung von Renoir hinzugefügt worden sind.

Die Einstellung und die Wahrnehmung der unvoreingenommenen Rezipienten haben mich interessiert. Die Minute gab ihrer Phantasie Futter, um kleine Geschichten zu spinnen. Es gab zwar ein paar Fehldeutungen, aber dem Kern der Aussage des Films kamen die Rezipienten doch sehr nah.

Die Einstellungen auf dem Wasser sind nur eingefügt worden, da die Szene, im Pariser Eisenwarengeschäft der Familie Dufour nicht gedreht worden sind. Renoir hatte dies vor, aber die Einstellungen sind nie entstanden (bitte nachlesen im Roman und in der Sekundärliteratur). In dieser Szene hätte Henri schon vorab erfahren, dass Henriette Anatole geheiratet hat, da er in Paris zufällig den Laden der Familie Dufour entdeckt und mit Henriettes Mutter  gesprochen hat. Durch das Fehlen dieser Szene wird die Dramatik der Endszene verstärkt.

Die verlorene Minute – der gewonnene Eindruck 

Meine Minute ist zum Teil zumindest der Lückenbüßer für eine Minute und sogar mehrere Minuten, die sich Renoir eigentlich für seinen Film gewünscht hätte. Durch diese Minute aber musste ich nochmals stark über das Wasser und die Darstellung des Wassers im Impressionismus nachdenken. Dabei sind mir einige Bilder von Auguste Renoir eingefallen, die die Landpartie fast als Bildergeschichte zeigen könnten. Vier davon möchte ich gerne einfügen, um zu zeigen  wie dicht die Bilderwelt von Renoir in der Kadrierung der Bilderwelt seines Vaters lag. Im zweiten Bild sieht man Renoir  von seinem Vater mit seiner Mutter im Bild verewigt. Dieses Bild zeigt seine erste Rolle in einer Landpartie, und er selbst setzt sich erneut in seinem Film in einer Landpartie in Szene.